Die Poesie der „seltsamsten, traurigsten Stadt“

Lima ist eine störrische Schönheit. Erreicht man die 9 Millionen-Stadt über die nördliche Panamericana, fährt man mehr als zwei Stunden bis sich das Zentrum Alt-Limas mit seinen Kolonialbauten zeigt. Man fährt oder steht auf achtspurigen Straßen, die Ohren werden taub, man atmet Staub. Besser ist es, nicht mit allen Sinnen in dieses Chaos, das sich auf wundersame Weise selbst zu organisieren scheint, einzutauchen.

Hat man Lima einmal für sich erobert, dann verlässt einen die störrische Schönheit nicht mehr. Vielmehr gibt sie den Blick frei für die Leben und Lebensstrategien ihrer Bewohner. Eine davon scheint Poesie zu sein.

„Poesie ist eine Form, die Realität kritisch zu betrachten und nicht nur für das zu halten als das sie sich zeigt.“, so Renato Sandoval, Initiator und Direktor des ersten internationalen Lyrikfestivals in Lima. Sandoval, selbst Schriftsteller, Übersetzer und Verleger, brachte die Inspiration von anderen Festivals ähnlichen Formats mit, zum Beispiel vom kolumbianischen in Medellín. Trotz Skepsis bis Zurückweisung angefragter Institutionen in Lima gelang es ihm und seinem Team, das scheinbar Unmögliche Realität werden zu lassen und einen internationalen Kulturaustausch im öffentlichen Raum zu veranstalten. Er gründete den gemeinnützigen Verein Asociación Fórnix de Poesía und mit einer Handvoll Leute erkämpfte er am kürzeren Hebel „la gran fiesta peruana de poesía“, das FIPLima. 80 Schriftsteller aus vier Kontinenten waren eingeladen.

Bereits mit der Eröffnungsveranstaltung erreichte das Festival sein Ziel, Literatur einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen: 3.500 Teilnehmer im Amphitheater im Parque de las Exposiciones im Zentrum Limas. Ähnlich erfolgreich waren alle weiteren Veranstaltungen während der folgenden drei Tage, die allesamt gratis im öffentlichen Raum, in Parks, auf Plätzen und in Bars stattfanden.

Die Feuertaufe des FIPLima ist nicht nur überstanden, sondern hat Perú in die Landkarte der Literatur Amerikas eingeschrieben, resümierte die argentinische Schriftstellerin Graciela Zanini aus Buenos Aires. Und wie all die Autoren stolz in ihren Danksagungen verkündigten, kann auch ich sagen: Ich war beim ersten dabei!

Alle Fotos von Claudia Heinrich